Kolumne im Blücher Stadtblatt:

vom 30. September 2023

In meiner ersten Kolumne fürs Stadtblatt möchte ich ein Thema beleuchten, welches mir als Biologen sehr am Herzen liegt.
Die Biodiversitätskrise, das grosse Artensterben. Erst kürzlich wurde ich an einem Podium kritisiert, einmal mehr Katastrophenstimmung zu verbreiten. Eigentlich bin ich ein sehr optimistischer Mensch, doch hat mich der Biodiversitätsverlust während meines ganzen Studiums beschäftigt und begleitet. Täglich verschwinden auf dem ganzen Globus 150 Tier- und Pflanzenarten. Damit stehen wir am Anfang von einem der grössten Artensterben seit der Dinosaurierzeit. Artensterben gab es auf unserem Planeten schon mehrere. Bisher waren es stochastische Ereignisse wie Vulkanausbrüchen oder Meteoriteneinschläge, welche zu drastischen klimatischen Veränderungen und als Folge zu einem Massenaussterben auf dem Globus geführt haben. Neu ist, dass eine dominante Art auf diesem Planeten – der Mensch – für das aktuelle schnelle Aussterben von Arten verantwortlich ist.

Die Hauptursachen sind die Zerstörung von Lebensräumen, die Verschmutzung der Umwelt durch Chemikalien, der Einsatz von hochpotenten Pestiziden und die Klimaerwärmung. In der Schweiz haben wir in den letzten 150 Jahren 90% der Feuchtgebiete verloren und anderen Nutzungen zugeführt. Ebenfalls stark zurückgegangen sind artenreiche Trockenwiesen, welche durch eine jahrhundertelange Nutzung entstanden sind. Entweder sind Sie der Bautätigkeit oder der Intensivierung der Landwirtschaft zum Opfer gefallen.

Ein für mich besorgniserregendes und sehr augenfälliges Zeichen ist das Insektensterben. Erinnern Sie sich noch an eine Autoscheibe nach einer abendlichen Fahrt im Sommer Ende der 70er Jahre? Diese war voll von aufgeprallten Insekten. Heute? Eine Studie in Deutschland hat gezeigt das in den letzten 30 Jahren die Biomasse der Insekten – die artenreichste Gruppe innerhalb der Tiere – 75% der Biomasse verloren ging. Also nicht nur seltene Arten sterben aus, sondern auch noch häufige Arten gibt es nur noch in deutlich kleinerer Zahl. Die Studie wurde in Schutzgebieten, wo es den Arten ja eigentlich gut gehen sollte, durchgeführt. Insekten sind die unscheinbaren Helden unseres Ökosystems, bilden die Nahrungsgrundlage für viele andere Lebewesen und übernehmen verschiedene Ökosystemdienstleitungen wie z.B. die Bodenbildung. Ihr Verschwinden ist ein Warnsignal, das wir nicht ignorieren dürfen!

Ich bleibe trotzdem optimistisch. Es gibt im Naturschutz auch positive Beispiele wie die Wiederansiedlung des Steinbocks, Bartgeiers oder des Bibers. Bei uns in Bülach ist aufgrund der erfolgreichen Massnahmen und der Förderung des Eichenwaldes der Mittelspecht aus der Roten Liste gefallen. Das zeigt doch, dass Artenschutz erfolgreich sein kann.

Leider nimmt im Landwirtschaftsland die Artenzahl weiter stark ab. Obwohl grosse Anstrengungen gemacht werden und auch viel Geld ausgegeben wird, greifen die Massnahmen nicht. Die aktuelle Art der Landwirtschaft ist Teil des Problems. Dabei sind die Landwirte der Schlüssel zur Lösung. Der Verzicht auf Pestizide, mehr naturnahe Flächen und eine stärkere Vernetzung der artenreichen Flächen sind wichtige Pfeiler für den Erhalt der heimischen Artenvielfalt.

Die Biodiversitätskrise mag im Schatten anderer globaler Herausforderungen stehen, doch ihre Auswirkungen werden wir geballt spüren, wenn sie ihre Funktionen wie Bestäubung, Wasserreinigung und Klimaregulierung – um nur einige zu nennen – nicht mehr wahrnehmen kann. Es ist höchste Zeit, dass wir diese stille Krise ins Rampenlicht rücken.